Comeback von Overtourism: Ist die Freizeitindustrie bereit dafür?
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Für Betreiber von Freizeitparks, Museen und Attraktionen im weitesten Sinne sowie für Anbieter Touren und Aktivitäten scheint sich die Aufgabenstellung an ihre Buchungsinfrastruktur in diesem Sommer zumindest auf den ersten Blick um 180 Grad gedreht zu haben. Denn mit dem weitestgehenden Wegfall der COVID Einschränkungen entsteht sowohl national als auch international ein echtes Momentum im Tourismus. Auf den zweiten Blick jedoch zeigt sich mit dem oft als Overtourism bezeichneten Run auf bestimmte Attraktionen zu bestimmten Zeiten ein neues Problem, welches erstaunlich viele Parallelen zum Umgang mit Besuchern während der COVID Re-Opening-Phase aufweist. Wie sich beide Situationen miteinander vergleichen lassen und wie sich Betreiber darauf einstellen müssen, soll hier kurz zusammengefasst werden.
Deshalb braucht Overtourism den gleichen technologischen Ansatz wie COVID
Gleicher Ausgangspunkt: Die Nachfrage übersteigt häufig das Angebot
Betrachtet man das Verhältnis zwischen vorhandenem Angebot und der Besuchernachfrage, so überwiegt in beiden Fällen die Nachfrage. Während der Wiedereröffnung trafen sowohl Nachholeffekte der Besucher als auch Restriktionen und Hygienemaßnahmen für Betreiber aufeinander. Insbesondere die gesetzlich verankerten Abstandsregelungen führten zu Kapazitätsbeschränkungen für Parks sowie vor allem für Indoor-Angebote wie Museen und Galerien. In diesem Sommer sind zwar die Kapazitäten nicht reglementiert, jedoch treffen diese auf einen wiedererstarkten Besucherstrom nationaler und internationaler Gäste.
Raus aus der Komfortzone: Das Besuchererlebnis leidet unter zu hoher Auslastung
Menschenmengen, Gedränge, langes Anstehen – spätestens seit der Pandemie tragen voll ausgelastete Attraktionen wenig zu einem positiven Gesamterlebnis für Besucher bei. Ab einem bestimmten Punkt verlassen Museen, Parks oder Sehenswürdigkeiten die Komfortzone, d.h. die Auslastung, bei der sich die Besucher noch wohl fühlen, auch wenn sie noch nicht an der Kapazitätsgrenze angelangt sind. Dabei spielt das Erlebnis bekanntermaßen eine wichtige Rolle für u.a. Bewertungen, Empfehlungen und die Entscheidung über einen weiteren Besuch – kurz für potenzielle Umsätze in der Zukunft.
Verlorene Umsatzpotenziale durch Überlastung der Infrastruktur
Das Personal ist pausenlos beschäftigt, alle Tische sind besetzt und Besucher verlieren die Lust, in Schlangen anzustehen: Da es unter Vollauslastung etwa einer bestimmten Attraktion oder eines bestimmten Tages am Wochenende nicht mehr möglich ist, alle Bedürfnisse der Gäste nach bspw. Snacks und Getränken, Foto-Services oder Souvenirs optimal zu erfüllen, gehen dem Betreiber Umsätze verloren. Anders gesagt, es gibt ein operatives Umsatzmaximum. Die gleichen Besucher würden in einem für die vorhandene Infrastruktur entspannteren Umfeld zu einem anderen Zeitpunkt sehr wahrscheinlich mehr konsumieren – und könnten das auch. Obwohl ein Nachfrageüberhang für Anbieter zunächst wünschenswert erscheint, liegen darin also oft vergebene Umsatzpotenziale.
Diese können sich langfristig sogar negativ auf die Wettbewerbssituation mit anderen Angeboten auswirken. Denn diejenigen Touren, Aktivitäten und Attraktionen, welche diese Potenziale erkennen, nutzen und dabei Erfahrungen sammeln – also intelligent managen, werden sich innerhalb dieser neuen Normalität wirtschaftlich weitaus besser aufstellen können. Anders gesagt: Ignorierte Potenziale sind die Nachteile von morgen.
Auf der Mikroebene entsteht das gleiche Bild: Durch Auslastungsspitzen treten sowohl negative Effekte für das Nutzererlebnis auf, als auch vergebene Umsatzpotenziale, wie z.B. beim Verkauf von Merchandising oder Verpflegung. Ziel ist es daher auch hier, Anreize zu schaffen und entsprechend zu kommunizieren, um Besucher in die Komfortzone zu lotsen bzw. Umsätze im Rahmen der vorhandenen Gegebenheiten (Personal, Lager, Verkaufsstellen, Versorgungsinfrastruktur) optimal abzuschöpfen und vergebene Potenziale zu minimieren.
Flatten the curve: So lässt sich die hohe Nachfrage am besten nutzen
Während ein Angebot oder eine Destination durch die Makro-Brille betrachtet mit Overtourism zu kämpfen hat, gibt es mit wenigen Ausnahmen gleichzeitig immer auch Zeiträume oder Teilangebote mit freien Kapazitäten.
Die wesentliche Managementstrategie im Umgang mit Overtourism muss daher der Ausgleich von (permanenten) Nachfragespitzen durch Umverteilung auf
A) Nebenzeiten und
B) alternative Angebote sein.
Denn nur so lässt sich die Zahl der tatsächlichen Nutzer bzw. der gekauften Tickets erhöhen.
Die Umsetzung erfordert dabei vor allem zwei Dinge: Echtzeitwissen über Ticketbuchungen als Entscheidungsgrundlage und eine digitale, technische Infrastruktur, die das gesamte Nutzererlebnis umspannt – von der Auffindbarkeit über die Buchung selbst bis zur Einlösung des Tickets. So bieten moderne Buchungssysteme zunächst einen klareren Blick auf die Zahl der verkauften Tickets bzw. die freien Plätze, idealer Weise unter Einbezug aller Distributionskanäle, wie die eigene Website, OTAs, Google things to do oder Reseller-Netzwerke. Intelligente Prognose-Tools helfen zusätzlich dabei, zukünftige Auslastungsspitzen zu simulieren. Hinzu kommen Einblicke in die Kundensegmentierung, die es erlauben, daraus überhaupt Anreize zur Optimierung der Auslastung zu entwickeln.
Der Rest ist, vereinfacht gesagt, Audience Flow Management durch Incentivierung und Kommunikation. Dazu gehört zunächst wiederum die Sichtbarmachung freier Kapazitäten auf allen Verkaufskanälen für potentielle Kunden, ein in verschiedenen Qualitätsstufen mittlerweile fest integriertes Feature der meisten modernen Buchungssysteme. Hieraus ergibt sich die Basis der Besucherlenkung, im Zweifel allerdings auch der Absprung von Interessenten.
Ein weiteres entscheidendes Steuerungselement ist natürlich der Preis, genauer gesagt die optimierte Aussteuerung von Preiskategorien. Nach wie vor eignen sich niedrigere Preise hervorragend dazu, weniger frequentierte Zeiten auszulasten. Gleichzeitig können Preiserhöhungen in den Spitzenzeiten dazu dienen, die Besucherzahl deutlich zu reduzieren und damit das Erlebnis für die verbleibenden Besucher angenehmer zu gestalten – ohne Umsatzverluste. Denn gerade nach den Erfahrungen mit COVID bzw. den positiven Erlebnissen in weniger überfüllten Attraktionen legen viele Kunden weiterhin Wert auf Ungestörtheit oder kleinere Gruppen – und sind bereit, für diese Exklusivität extra zu zahlen.
Zwar sprechen besonders Preise ihre eigene, leicht verständliche Sprache, jedoch ist es bei allen Initiativen zum Umgang mit Overtourism eine gute Idee, diese im entsprechenden Kontext zu kommunizieren und zu erklären. Overtourism, Preisanpassungen und Lenkungsansätze sollten daher als Teil der Marketing-Kommunikation verstanden werden.
Fazit & Ausblick: Die Technologie ist vorhanden, das Mindset muss sich ändern
Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass der durch COVID notwendig gewordene Einsatz von Instrumenten der Besucherlenkung ein positives Nachspiel hat. Denn die Technologie zum Umgang mit Overtourism-Effekten ist vorhanden und erprobt sowie vielerorts bereits implementiert. Was jetzt noch fehlt, ist der Wechsel im Mindset von Betreibern, diese neuen Tools zur Optimierung ihres Angebotes einzusetzen – teilweise auf ganz neue Art und Weise und womöglich auch kontraintuitiv. Ein guter Mix aus verschiedenen Ticketkategorien und unterschiedliche Preise entlang intelligent gewählter Zeitfenster ist dank digitaler Buchungssysteme für jeden Betreiben von Attraktionen und Destinationen ohne Weiteres möglich. Und mit Hilfe digitaler Schnittstellen zu OTAs, Reseller-Netzwerken und Suchmaschinen ist bereits die Grundlage zur Besucherlenkung auf Makroebene gelegt.